Sonntag, 16. Dezember 2012

LAK fuM unterstützt Rosa & Karl



Der Landesarbeitskreis für ungewöhnliche Maßnahmen unterstützt folgenden Aufruf:

Gedenken in der Krise

Im Januar 2013 werden wir als Bündnis „Rosa & Karl“ mit einer Demonstration und einer Aktionswoche an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erinnern.

Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – Vertreter*innen des revolutionären SPD-Flügels und Gründungsmitglieder und Vorsitzende der KPD – durch eine „Bürgerwehr“ festgenommen und in das damalige Hotel Eden unweit des Zoologischen Gartens gebracht. Dort residierte der Stab der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, der die Verfolgung von Spartakist*innen in Berlin organisierte. Die beiden wurden verhört und dabei schwer misshandelt. Parallel zu den Verhören wurde bereits die Ermordung der beiden Revolutionsführer*innen geplant. Dabei sollte es nach einer spontanen Tat aussehen. Beide wurden einzeln abtransportiert und unweit des Hotel Edens ermordet. Ihre Leichen wurden in den Neuen See im Tiergarten und in den Landwehrkanal geworfen.

Zum Zeitpunkt von Luxemburgs und Liebknechts Ermordung war die Novemberrevolution in ihre letzte Phase eingetreten, die Arbeiter*innenschaft war gespalten: Die Mehrheits-SPD versöhnte sich mit Kapital und Nation und übernahm Regierungsverantwortung, während Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht dies entschieden ablehnten. Für sie lag nach dem Schrecken des Ersten Weltkrieges die einzige Perspektive in einer sozialistischen Revolution. Dass diese Sicht damals nicht nur Utopie gewesen ist, zeigen die Kämpfe der Arbeiter*innen und Soldat*innen in der Novemberrevolution und die Oktoberrevolution in Russland 1917.

Aber was hat das alles eigentlich mit uns in der Gegenwart zu tun?

Immer wieder die gleiche Leier – Wir wollen mal was Neues!

Der Abbau sozialer Leistungen und Infrastruktur, leere öffentliche Kassen, steigender Leistungsdruck auf Arbeit, in der Schule und an Universitäten und die stagnierende Lohnentwicklung dienen dem Ziel, kapitalistische Gesellschaften noch wettbewerbsfähiger zu machen und trotz dieser ganzen Zumutungen schlittern wir von Krise zu Krise. Kaum scheint eine überwunden, taucht am Horizont schon die nächste auf.

Aber was heißt hier eigentlich Krise?

Heute stehen wir vor der größten Abwärtsbewegungen in den kapitalistischen Systemen der Nachkriegszeit, doch wird auch diese Krise nicht das Ende des Kapitalismus sein. Vielmehr verschleiert das Wort Krise die Ursachen. Denn das Wort Krise unterstellt, es handele sich um einen Ausnahmezustand, den man mit der richtigen Wirtschaftspolitik und den richtigen Regulierungen bzw. der richtigen Einstellung beheben könne. Es wird unterschlagen, dass Schwankungen, Hochs und Tiefs, Spekulation und Bereinigung ebenso zum Wesen des Kapitalismus gehören, wie Ausbeutung, Zwang und Entfremdung. Es gibt also keine Krise des Kapitalismus, sondern der Kapitalismus ist die Krise!

Auf der Suche nach den Schuldigen – Faulheit und Gier?

Mit der Vorstellung, die Krise sei nicht ursächlich im Kapitalismus selbst zu finden, beginnt die Suche nach einer äußeren Ursache. Da abstrakte Erklärungen für komplexe Zusammenhänge nicht das Bedürfnis erfüllen einen Schuldigen zu finden werden Ursachen willkürlich personalisiert und die Sündenböcke dann an den Pranger gestellt. In Deutschland wurden die Schuldigen u.a. in den Bürger*innen des griechischen Staats gesucht und gefunden. Diese sind dann aufgrund ihres „Nationalcharakters“, der sich hauptsächlich durch Faulheit und Korruptheit auszeichnen soll, an der Wirtschaftskrise in ganz Europa schuld.

Doch die Phantasie vom griechischen Schlaraffenland ist nichts weiter als stumpfer Rassismus.

Ein anderes Feindbild sind die vermeintlich gierigen Manager*innen oder zockenden Spekulant*innen, welche für den persönlichen Reichtum das Wohl ganzer Länder aufs Spiel setzen würden. Doch ein*e Manager*in, welche*r keine Gewinnmaximierung um jeden Preis anstrebt wird schlichtweg mit Bankrott oder Rausschmiss belohnt. Eine derart falsche und personalisierte Kapitalismuskritik blendet nicht nur den irrationalen und selbstwidersprüchlichen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise aus, sondern öffnet auch die Tür für antisemitische und verschwörungstheoretische Ideologien.

Die Analyse der gesellschaftlichen und ökonomischen Verfasstheit muss schonungslos sein. Niemandem ist geholfen, wenn unter falschen oder verkürzten Grundannahmen Hoffnungen auf grundsätzliche Überwindung des Bestehenden geweckt werden.

Deutschland, die EU und der Kapitalismus – Eine innige Dreiecksbeziehung.

Deutschland ist das Land mit der niedrigsten Reallohnentwicklung in der EU. Durch die Niedrigpreise wurde die europäische Konkurrenz in den letzten Jahren systematisch unterboten und ein enormer Außenhandelsüberschuss erzielt. Die Konsequenz für den Rest der EU ist, dass Staaten sich der Gefahr des Staatsbankrotts aussetzen, wenn sie nicht dem deutschen Beispiel des Sozialabbaus folgen.

Maßgeblich deutsche Firmen profitieren dadurch vom europäischen Arbeits- und Absatzmarkt, während Deutschland gleichzeitig den eigenen Arbeitsmarkt abschottet. Parallel dazu bessert Deutschland seinen Außenhandelsüberschuss als einer der größten Waffenexporteure der Welt auf.

Aus Angst vor einer Ausweitung der Krise und im eigenen Interesse, das deutsche Wohlstandsniveau nicht zu gefährden, agiert die deutsche Bundesregierung allein und zwingt andere EU-Länder zu einer restriktiven und fragwürdigen Sparpolitik und zu Sozial- und Arbeitsmarktreformen nach dem deutschen Vorbild der Hartz-Gesetze. Der bereits sehr niedrige demokratische Standard der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten wird weiter untergraben und im Namen angeblicher Sachzwänge mehr und mehr von unkontrollierten und unkontrollierbaren „technokratischen“ Regierungen ersetzt.

Die neoliberale Politik konnte ihr Versprechen eines ungebremsten Wirtschaftswachstums nicht halten und hat in weiten Teilen der Welt sogar katastrophale Auswirkungen verursacht. Trotzdem mündet diese Blamage leider nicht in einer breiten und grundsätzlichen Kritik an kapitalistischer Verwertung und Ausbeutung. Der Kapitalismus und seine Ideologien erweisen sich einmal mehr als enorm wandlungsfähig.

Ich in der Krise – Die Phantasie stirbt aus im Kapitalismus.

„Alle Theorie schön und gut, aber was bringt mir das Kopfzerbrechen und betrifft mich das überhaupt?“

„Du hast alle Möglichkeiten, wenn du dich anstrengst!“: Den Spruch kennen bestimmt die meisten. So harmlos er daherkommt, so viel sagt er doch darüber aus, wie gesellschaftliche Zustände in den Köpfen zur vermeintlichen Selbstverständlichkeit werden. Praktisch zeigt sich dieser Geist dann darin, dass Menschen schon ab ihrer Jugend darauf getrimmt werden, möglichst viel „aus sich zu machen“. Dabei geht es dann nicht um Selbstverwirklichung und freie Entfaltung der persönlichsten Bedürfnisse, sondern um nicht weniger als die maximale Selbstverwertung: So früh wie möglich so viel wie möglich lernen, um dann auch möglichst früh möglichst nützlich zu sein. Wer das nicht hinkriegt, ist dann selber schuld.

In diesen zunehmend unsicheren Lebensverhältnisse preist die Bundeswehr eine vermeintlich sichere Berufsperspektive und geht mit einer massiven Werbeoffensive auf die Suche nach neuen jungen Rekrut*innen.

„Jugend“ heißt heute: Schüler*innen lernen Dinge, die sie nicht interessieren, unter immer höherem Zeitdruck, Studierende konzentrieren sich auf das Sammeln von Leistungspunkten in der Regelstudienzeit und junge Erwerbstätige machen Jobs, die mit Berufung oder eigenen Bedürfnissen lange nichts mehr zu tun haben.

Das Problem ist, dass es immer schwerer wird, sich Alternativen vorzustellen und aus dem Trott auszubrechen:

Nein, nein – das ist nicht der Kommunismus!

In der Vergangenheit sind viele Versuche sozialistische Ideen umzusetzen gescheitert. Nicht nur durch blutige Niederlagen wie die des Spartakusaufstands, sondern auch dadurch, dass ihr fortschrittlicher Gehalt in brutalen Diktaturen und repressiven Systemen ein Ende gefunden hat. Die Namen Stalin, Mao, Ho-Chi-Minh und Honecker stehen stellvertretend für dieses Scheitern.

Das traditionelle Gedenken an Rosa und Karl in Form der LL(L)-Demonstration stellt heute leider einen traurigen Ausdruck dieser Form des Scheiterns dar. Unwidersprochen werden Jahr für Jahr Stalin-Banner geführt, Weisheiten des großen Vorsitzenden Mao Zedongs zitiert und DDR-Fahnen geschwenkt. Kritik wird nicht entgegengenommen, sondern mit körperlicher Gewalt beantwortet. Wir bestreiten, dass solche menschenverachtende Ideologien etwas mit den Ideen von Rosa und Karl zu tun haben und haben die Hoffnung verloren, dass diese Aufstellung des Gedenkens noch von innen reformiert werden kann.

Wenn wir an die Ideen von Rosa und Karl anknüpfen und für ein freies und selbstbestimmtes Leben auf die Straße gehen, so tun wir das als Bündnis emanzipatorischer Jugendverbände und Gruppen. Wir haben die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen, sondern schreiten fragend voran. Wir wehren uns gegen jeden Dogmatismus und die Verherrlichung von Verbrechen begangen von sogenannten Linken und im Namen „der guten und wahren Sache“. Wir wehren uns gegen eine „Freund-Feind“-Logik, denn die Welt in der wir leben ist nicht schwarz- weiß, sondern bunt.

Europa ist nicht genug – Für eine Welt der Freien und Gleichen!


Wenn wir im Jahre 2013 an die Ermordung von Luxemburg und Liebknecht erinnern, dann nicht nur, um zwei großen Revolutionär*innen zu gedenken. Rosa Luxemburg hat Zeit ihres Lebens selbst das Gedenken an sogenannte Held*innen abgelehnt. Uns geht es stattdessen um die Auseinandersetzung mit ihren Ideen und ihrer Perspektive auf eine Gesellschaft frei von Armut, Ungleichheit und Krieg. Ihr Handeln war stets von der Annahme geprägt, dass Revolution nicht nur eine Utopie in einer unbestimmten Zukunft ist, sondern eine Möglichkeit der politischen Praxis. Bei einem Gedenken an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sollten wir uns bewusst werden, dass damals eine Bewegung die sich gegen Herrschaft auflehnte auf brutale Weise niedergeschlagen wurde. Gleichzeitig kann aber ihre Hoffnung, ihre politische Praxis Teil unseres eigenen Arbeitens werden. Luxemburgs und Liebknechts Ideen sind heute noch aktuell, relevant und vielleicht notwendiger denn je.

„Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark.“
Rosa Luxemburg